

Tears Of Happiness
Starmania: Eine Suche nach Menschlichkeit in der Kunstwelt der Popkultur
Eines muss ich gestehen: Ich bin ihr auch ziemlich verfallen, der Starmania. Und habe Woche fiir Woche mitgefiebert mit me! nen Favoriten unter den immer weniger werdenden Kandidaten der heimischen Popstar-Talentefindungsshow. Nach ,,T!xi Orange" ist dem ORF wiederum ein Sendeformat geglückt, das gerade die Teenager in seinen Bann zieht und darüber hinaus für reichlich kontroversiellen Gesprächsstoff sorgt. Ich muss auch zugeben, dass in meinem persönlichen Tipp fur die drei Finalisten der Sieger Michael Tschuggnall nicht vorkam. Auch bei Umftagen und Kommentatoren lag er nicht voran.

Er hat nicht nur überrascht, als er sich zum entscheidenden Finallied ans l(avier setzte und ganz ohne den Rückhalt eines Playbacks die selbst komponierte Ballade ,,Tears Of Happiness" (Tiänen des Glücks) vom Stapel ließ oder als er - mit Freudentränen in den Augen - gestand, es sei ihm nur wichtig gewesen, dieses Lied einmal vor so großem Publikum zu singen, und was dann auch immer passieren sollte, sei ihm entschuldigen Sie die deftige Wortwahl, aber so hat er es nun einmal gesagt - scheißegal.
Mich beeindruckte noch viel mehr ein anderes Detail. Während Michael mit allen auf das Ergebnis des entscheidenden Votings wartete, stand er in sich versunken da und - betete. Selbst von einer legeren Bemerkung der Moderatorin ließ er sich nicht entmutigen, später im Interview zu bekennen, er habe darum gebetet, dass das geschehen möge, was frir ihn das Beste sei.
Da denkt einer im Augenblick des großen Triumphes nicht daran, sich selbst zu inszenieren, nicht daran, was er will, sondern legt sein Schicksal bewusst in die Hand Gottes und vertraut sich ganZ dem an, der wohl am besten weiß, was ftir einen Menschen gut oder schlecht ist. Das ist eine beachtliche und wohltuende Außerung nicht nur in einem solchen Umfeld, wo hauptsächlich Selbstdarsteller mit aufgeblasertem Ego unterwegs sind. Auch mancher praktizierende Katholik kann von einer so reifen Spiritualität lernen, denn wer ist schon davor gefeit, den eigenen Willen an die erste Stelle zu setzen, anstatt nach Gottes Plänen fur sein Leben zu suchen.
Spannend erwies es sich wieder, die gruppendynamischen Prozesse innerhalb der immer kleiner werdenden Schar zu beobachten. Werte wie Kameradschaft, Freundschaft und gegenseitige Wertschätzung wurden sehr hochgehalten. Das umstrittene ,,Friendship-Ticket", das es den verbliebenen Kandidaten ermöglichte, eine(n) der ausgeschiedenen zurückzuholen, stellte diese wiederholt auf die Probe. Einmal beeindruckte die Grazer Kandidatin Livia Hubmann mit der Feststellung, ihr sei fedes Konkurrenzdenken fremd, denn sie habe schon oft mit besseren Musikern zusammengearbeitet und immer nur davon profitiert.
Dennoch wäre es wohl naiv, in solchen Produktionen vorbildli che Lernprogramme ftir menschliches Miteinander und Persönlichkeitsentwicklung 21) sehen.
Man kann und muss auch den Einwand erheben, dass daLrei iunge, unbedarfte Menschen von einer aggressiven Unterhaltungsindustrie instrumentalisiert werden - alle Kandidaten wurden auf Jahre hinaus vertraglich gebunden. Man kann deren Glaubwürdigkeit anzweifeln; wenn man die enge Verwobenheit zwischen Fernsehanstalt und Musikbranche beobachtet. Der charmante Juror, der mit feiner Klinge seine wohl dosierten Kritiken anbrachte, ist immerhin Chef der mitbeteiligten Plattenfirma. Und man kann sich auch über die immer unverfrorener platzierte Schleichwerbung ärgern. Ganz nebenbei wrrrden die Namen von Energy-Drinks cider Handy-Erzeugem erwähnt, die rein zufällig die Sendung unterstützten. Von der Telefongesellschaft möchte ich gar nicht reden, die bei den Abstimmungen mit jedem Anruf mindestens einen Schilling einnahm. Allein bei der Finalsendung waren das immerhin 5,3 Millionen.

Schon in Zusammenhang mit ,,Taxi Orange" gerieten die Vertreter des ORF schnell in Verlegenheit, wenn sie auf ihren öffent-lich-rechtlichen Bildungsauftrag angesprochen wurden, Hier können sie immerhin auf die Stimm-Bildung der Kandidaten verweisen. Gerade der Sieger Michael konnte darin ja deutliche Fortschritte vorweisen.
Es ist ihm zu wünschen, dass er sich in der synthetischen Glitzerwelt der Popkulturen ein Sttick seiner erfrischenden Natürlichkeit bewahren kann, selbst wenn er verständlicherweise auf der Suche nach einem Künstlernamen ist. Schließlich .schwebt ihm eine internationale Karriere vor - und man stelle sich nur einen englischsprachigen Radiomoderator bei dem Versuch vor, das Wort ,,Tschuggnall" auszusprechen.
Alfredlokesch